Predigt Seiner Seligkeit Sviatoslav in München anlässlich des 65-jährigen Jubiläums des Apostolischen Exarchats für die Ukrainer in Deutschland und Skandinavien
“Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt,
zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen” (Mt 10,32).
Lieber Bischof Bohdan!
Hochwürdige, ehrwürdige und allverehrte Väter!
Ehrwürdige Schwestern und Brüder im Mönchtum!
Liebe Gläubige unseres Apostolischen Exarchats in Deutschland und Skandinavien, von denen so viele heute hierher gekommen sind!
Liebe Gäste dieser Feier!
Gelobt sei Jesus Christus!
An diesem Sonntag, der nach dem gregorianischen Kalender als Allerheiligensonntag bezeichnet wird, sind wir als Kirche aufgerufen, gemeinsam die Früchte des Wirkens des Heiligen Geistes, der am Pfingsttag auf die Apostel herabkam, im Menschen zu betrachten und zu bewundern. Wir sind dazu aufgerufen, im Antlitz eines jeden Menschen die Heiligkeit Gottes zu sehen, die uns der Heilige Geist als ihr Träger vermittelt.
Damit wir besser verstehen, wer ein Heiliger ist und was die Heiligkeit bedeutet, sendet uns Gott der Herr heute sein lebensspendendes Wort (Mt 10,32–33; 37–38; 19,27–30). Wir hören die tiefgründigen Aussagen unseres Erlösers, die zugleich eine Einladung und eine Warnung, eine Berufung und damit eine Verantwortung sind. Christus sagt zu seinen Jüngern: “Jeder, der sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen” (Mt 10,32–33).
Was bedeutet es, sich zu Christus vor den Menschen zu bekennen? Und was wird Er tun, wenn Er sich zu uns vor Seinem himmlischen Vater bekennt? Was bedeutet dieses Wort “bekennen”? Offensichtlich verstanden die ersten Jünger, die dem Meister zuhörten und seine Worte aufschrieben, dass Ihn vor den Menschen zu bekennen damals bedeutete, Christ zu sein, sich zu Ihm zu bekennen in einer Welt, die der Kirche und den Christen feindlich gesinnt war und die für jedes solche Glaubensbekenntnis mit Qualen oder gar dem Tod drohte. Ein solches Bekenntnis zum Glauben an Christus war die Stärke der Märtyrer, das Heldentum, eine Berufung und zugleich eine große Verantwortung. Christ zu sein in den Zeiten, in denen das nicht günstig ist, sich Seiner nicht zu schämen, wenn sich alle von Ihm abwenden, das ist eine besondere Aufgabe und Berufung Seines Jüngers. Sich zu jemanden bekennen heißt, auf eine Ähnlichkeit, eine Verwandtschaft hinzuweisen. Wenn ich mich zu jemandem bekenne, spreche ich nicht nur von ihm, sondern auch von mir selbst, von dem, was er für mich ist und ich für ihn. Sich vor den Menschen zu Christus bekennen bedeutet, zu deklarieren, wer Er für mich ist und ich für Ihn; Seine Kraft zu offenbaren, den Keim der Heiligkeit, die Er mir im Sakrament der Taufe gegeben hat; den Reichtum der Gaben zu zeigen, mit denen Er mich beschenkt hat, und schließlich meine Ähnlichkeit mit dem Abbild Gottes zu zeigen, das ich als Sein Sohn oder Seine Tochter in mir trage. Dieser besondere Augenblick, in dem sich Christus zu uns vor Seinem himmlischen Vater bekennt, heißt, dass Er in uns Sein eigenes Ebenbild wiedererkennt, Seinen Heiligen Geist, den Er uns geschenkt hat; Er erkennt in uns Seine Brüder und Schwestern, denen Er ähnlich geworden ist, indem Er Mensch wurde, damit wir Ihm ähnlich werden. “Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde”, sagte der heilige Irenäus von Lyon.
Das Wachsen in der Heiligkeit Gottes, die jeder von uns empfangen hat, ist eine Berufung zur Ähnlichkeit, zum Bekenntnis zu Christus in der modernen Welt und zur Hoffnung, dass Er jeden von uns in der Ewigkeit beim Letzten Gericht erkennen und den Engeln und Menschen zeigen wird, dass wir die Seinen sind, die Hausgenossen Gottes, wie der Apostel Paulus lehrt: “Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Eckstein ist Christus Jesus selbst. In ihm wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn. Durch ihn werdet auch ihr zu einer Wohnung Gottes im Geist miterbaut” (Eph 2,9–22).
Wir sind also Erben, Söhne und Töchter des Himmelreiches! Sich zum Eigenen zu bekennen, bedeutet, sich dessen nicht zu schämen, wer ich bin — , das ist die allgemeine Berufung zur Heiligkeit für alle, von der wir heute im Heiligen Evangelium hören.
Wir sind heute aus der Ukraine und aus verschiedenen Ecken Europas hierher gekommen, um ein sehr wichtiges und bedeutendes Datum zu feiern. Wir danken Gott dem Herrn für 65 Jahre schwieriger, aber glorreicher und leuchtender Geschichte dieses Apostolischen Exarchats für die Ukrainer in Deutschland und den skandinavischen Ländern. Seine Seligkeit Ljubomyr hat immer gesagt, dass jedes Jubiläum eine gute Gelegenheit ist, sich an die Vergangenheit zu erinnern, in die Augen der Gegenwart zu schauen und nach vorne zu blicken, um das Ziel zu sehen, zu dem wir aufgerufen sind, gemeinsam als Kirche und Volk Gottes voranzuschreiten.
Zuallererst danken wir Gott für unsere großen und, ich scheue mich nicht das Wort zu sagen, heiligen Vorgänger, die an den Anfängen dieser Ortsgemeinde unserer Kirche standen. Wir danken Ihm, dass Er uns den seligen Hieromärtyrer Petro Werhun geschenkt hat, der sich in den schweren Zeiten des Zweiten Weltkriegs nicht scheute, gegenüber den verschiedenen atheistischen Ideologien zu bekennen, dass er ein Christ ist, ein Seelsorger für diejenigen, die das damalige Europa nicht wahrnehmen wollte oder sogar zum sicheren Tod verurteilt hat. Wir sind allen Ukrainern dankbar, die sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg zu dem bekannten, was sie waren, die sich nämlich zu ihrer Kirche und zu ihrem Volk bekannten — , auch wenn die rechtlichen Gegebenheiten der damaligen Welt ihre staatsbürgerliche Identität nicht klar definieren konnten. Vielleicht haben heute viele Menschen den eigenartigen Namen bereits vergessen, den man den Ukrainern damals gegeben hat — “displaced persons” (“Fremde, die ihres Landes beraubt wurden”). Unsere Leute haben hier in Bayern ihre eigenen Schulen, Gymnasien, Bildungseinrichtungen geschaffen, sogar in Flüchtlingslagern haben sie gemeinsam ihre eigene Kirche gegründet. Die Gläubigen der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche taten dies, als die Fremden noch gar nicht verstehen konnten, wer wir sind (bis heute können nicht alle verstehen, wer die Katholiken des byzantinischen Ritus sind: entweder falsche Orthodoxe oder falsche Katholiken). Wie schwierig war es, in diesem riesigen Meer von Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg die eigene Identität zu bewahren! Wir sind dankbar für die weise Entscheidung des Apostolischen Stuhls, ein eigenes Exarchat zu errichten, und für das Geschenk eines Bischofs für die Umsiedler in Deutschland in diesen schwierigen Nachkriegsjahren. Wie könnten wir uns heute an dieser Stelle nicht an die Bischöfe Platon Kornyljak und Mychajlo Hryntschyschyn gesegneten Andenkens erinnern? Wie könnten wir uns nicht mit einem Wort des Dankes an Bischof Petro Kryk wenden? Wie könnten wir uns nicht an diejenigen erinnern, die unsere Gemeinden, Pfarreien und Kirchen aufgebaut und organisiert haben?
Wie können wir nicht auf unsere schwierige Gegenwart schauen? Ich denke, dass sich die Gründer dieses Exarchats nicht vorstellen konnten, dass zu Beginn des dritten Jahrtausends der nördliche Aggressor in denselben Kremlbüros in die Zeiten Stalins zurückkehren würde, dass er den Ukrainern erneut das Recht auf Leben absprechen würde, dass er sagen würde, dass unser Volk nicht existiert und dass es keine Grundlage für die Existenz unseres Landes gibt. Uns, den Gläubigen der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, wird direkt ins Gesicht gesagt: Ihr hättet nicht existieren dürfen. Aber es gibt uns als das Volk Gottes, das nicht vergisst, wer es sein will. Mehr noch: Unter den neuen Umständen des säkularisierten Europas schämen wir uns nicht, Christen zu sein, das Volk Gottes. Wir bekennen uns zu Christus vor einer Welt, die Ihn verleugnet. Wir scheuen uns nicht vor unserer Kultur oder dem blutigen und heldenhaften Schicksal, das unser Heimatland heute kennzeichnet. Ich danke Ihnen allen, dass Sie sich vor Gott und der Welt zu dem Geschenk des Glaubens Ihrer Eltern bekennen, das Sie in Ihren Herzen tragen. Ich danke Ihnen, dass Sie in diesem Exarchat vereint sind.
Und nun lasst uns in die Zukunft blicken. Wie sieht sie aus? Wir können es zwar noch nicht wissen, aber wir glauben und spüren, dass Christus selbst uns als die Seinen betrachtet. Unser Erlöser ist die Garantie dafür, dass die Kraft der Gnade des Heiligen Geistes, die in den Adern unseres Volkes pulsiert, eine Quelle der Hoffnung ist, und zwar nicht nur auf einen sicheren Sieg der Ukraine auf ihrem eigenen Boden, sondern auch auf die Zukunft unseres Volkes. Die Kraft des Heiligen Geistes wird jede Not in eine Chance verwandeln und jede Bedrängnis, jeden Schmerz in einen Schatz des Bekenntnisses unserer Kirche. Deshalb können wir heute eine Zukunft sehen, hören und sogar berühren, die von der Hoffnung geprägt ist, dass wir Christus gehören, dass Er selbst uns schon jetzt als die Seinen anerkennt und uns vor das Angesicht unseres himmlischen Vaters führt! Die Gotteskraft, die sich in der Vergangenheit offenbart hat, pulsiert jetzt in uns. Und sie wird sich als die Fülle des Heiligen Geistes unter uns voll entfalten.
Ich möchte Bischof Bohdan Dziurakh aufrichtig danken, einem unermüdlichen Arbeiter, der dieses Exarchat auf den Fundamenten seiner Vorgänger aufbaut, und wir sehen, wie es [das Exarchat] sich unter seiner pastoralen Fürsorge verwandelt. In diesen Tagen haben wir gesehen, wie jünger unsere Priesterschaft im Laufe der letzten Jahre geworden ist: die 53 Priester in unseren 107 Pfarreien und Gemeinden sind im Durchschnitt viel jünger als die Priester der Römisch-katholischen Kirche. Wir sind hier eine junge, schöne, weise Kirche, die von einem jungen und polyglotten Bischof geleitet wird, der zu beten versteht, an Gott glaubt, die Würde seiner Vorgänger sieht und Sie alle zu dieser Würde führt. Wir, die Ständige Synode, sind hierher gekommen, damit Sie in Deutschland und in verschiedenen Ländern Nordeuropas spüren können, dass die Ukraine steht, kämpft, aber auch Sie nicht vergisst. Ihre Mutterkirche sorgt für Sie. Ich möchte, dass Sie spüren, dass wir für jeden von Ihnen auf den Kyiwer Hügeln beten. Wir schämen uns Ihrer nicht, also schämen Sie sich auch nicht Ihrer Kirche und Ihres Vaterlandes, und “in den Zeiten der Not, im letzten schwierigen Moment, beten Sie zum Herrn für sie”, wie Taras Schewtschenko uns aufgetragen hat.
Darum bitten wir heute: Herr, offenbare die Kraft der Heiligkeit Deines Heiligen Geistes in unserem Land! Erweise uns als Dein heiliges Volk, das sich zu Dir bekennt und glaubt, dass Du Dich zu ihm bekennen wirst. Ein Ukrainer in Deutschland zu sein, heißt heute, der Beste zu sein. Gestern erzählten mir die jungen Leute, dass sie doppelt oder sogar dreimal so viel studieren müssen wie ihre Altersgenossen, die hier geboren sind, und dass sie die besten Studenten, Angestellten, Wissenschaftler und Unternehmer werden müssen, um respektiert zu werden. Ein Ukrainer zu sein, bedeutet, ein wahrer Mensch, ein wahrer Patriot, ein wahrer Christ zu sein. Möge die Wahrheit unseres Glaubens an Gott die Kraft sein, mit der wir siegen werden. Der heilige Augustinus sagte einmal, dass die Wahrheit nicht verteidigt werden muss; wie ein Löwe hat sie ihre eigene Kraft, man muss sie nur freisetzen. Das ist eine andere Bedeutung des Wortes “Bekennen”, von dem Christus zu uns heute spricht. Bekennen Sie sich heute vor den Menschen zu Ihm, schämen Sie sich dessen nicht, wer Sie sind, setzen Sie die Kraft der Wahrheit und der Heiligkeit frei, die sich in unserem Leben manifestieren will und die wie der Keim der ewigen Herrlichkeit bereits in jedem von Ihnen ruht. Amen.
† SVIATOSLAV